Montag, 26. Dezember 2011

Frohe Weihnachten, oder vom Verfall der Werte

Gastkommentar von ASWB

Wappentier von Märklin, das Krokodil
Nun ist sie wieder in vollem Gange, die besinnliche Zeit. Das Fest der Nächstenliebe und Familie. Ich kann mich noch ganz genau an ein spezielles Weihnachtsfest aus dieser Zeit erinnern. Ich war 9 Jahre alt und ging wochenlang an diesem einen Spielzeugladen vorbei. Verbrachte Minute um Minute vom Schulweg vor dem Schaufenster und drückte mir bei jedem Einkauf mit Mutter die Nase an der Scheibe des Lädchens platt. Ich hatte nur diesen einen Wunsch und hoffte so sehr, der Weihnachtsmann möge mich erhören. Eine Eisenbahn hatten zu dem Zeitpunkt viele, ich aber wollte dieses Krokodil, eine Lok, die in der Schweiz überall im Güterverkehr anzutreffen war und die ihren Namen der besonderen dreigeteilten Bauform zu verdanken hat.

Worauf ich mich aber mindestens genauso freute, war das gemeinsame Zusammensein mit der ganzen Familie. Die Großeltern kamen, Cousins und Cousinen, Onkel und Tanten, die man so lange nicht gesehen hatte. Und das Schönste daran, alle hatten gute Laune und Zeit. Zeit sich mit mir hinzusetzen, Geschichten zu lesen, zu singen, einfach Zeit für einander. Und selbst bei meinem Vater war kein Anzeichen von Hektik zu erkennen. Nach dem gemeinsamen Kirchgang wurde zusammen gegessen, gelacht, gesungen. Irgendwann versammelten wir uns um meinen Opa, der mit tiefer und ruhiger Stimme aus seinem Ohrensessel heraus die Weihnachtsgeschichte verlas. Dann war Bescherung. Mutter bekam die Töpfe, die sie so dringend brauchte, Papa eine neue Pfeife, mein Bruder ein paar neue Winterstiefel und ich einen dicken Pullover mit passendem Schal und Mütze. Wir waren glücklich und es war ein herrliches Weihnachtsfest.

Heute, so habe ich das Gefühl, läuft Weihnachten anders ab. Der Wunschzettel wird schon lange nicht mehr per Hand geschrieben und nach Himmelpforten zum Weihnachtsmann geschickt; den füllt man jetzt nämlich online bei Amazon aus. Der Adventskalender ist nicht mehr mit Nüssen, Mandarinen und Schokoladenstücken gefüllt, es gibt jetzt Barbie und Playmobil.

Statt Blockflöte erklingt Musik heute aus dem iPod. Nicht alle die Gleiche - wozu gibt es schließlich Kopfhörer? Nach dem Essen werden die Amazonpakete ausgepackt (das Geschenkpapier konnte man ja beim Versand gleich mit anklicken) und dann geht jeder zu seiner PS3 oder WII, um die Geschenke auszupacken…..Ich könnte noch zahlreiche andere Beispiel anführen, aber was hat das alles mit Börse zu tun?

Nun, in meiner Überschrift schrieb ich vom Verfall der Werte.

Die erste Berührung mit einer Aktie war nicht virtuell als Fonds oder WKN in einem Onlinedepot - nein, die hing eingerahmt bei meinem Vater im Arbeitszimmer. Es war ein Anteil der Firma, bei der er beschäftigt war. Reich verziert mit Malereien glich sie mehr einem Gemälde als einem Unternehmensanteil. Man war durch dieses Stück Papier mehr als nur Anteilseigner, man war ein Stück des Betriebes. Die Straße trug den Namen seines Arbeitgebers, so wie der örtliche Fußballverein. Jeder konnte sich mit dem Betrieb identifizieren und mehr noch, jeder trug diesen Namen voller Stolz auf der Brust. Man hielt diese Aktien aus Überzeugung. Las die Bilanzen, freute sich über neue Großaufträge und war stets am Puls der Zeit.

Heute interessieren diese Zahlen niemanden mehr. Heute entscheiden Unterstützungen oder Widerstände binnen Bruchteilen von Sekunden über den Kurs einer Aktie. Ratingagenturen entscheiden über Gedeih und Verderb, über Gewinn und Verlust und schlimmstenfalls über den Fortbestand eines Unternehmens und dessen Belegschaft.
Man kauft in günstigen Zeiten nicht billig nach, nein, man shortet und treibt damit die Werte noch weiter in den Keller. Optionen übersteigen heutzutage den Wert der Aktien um ein Vielfaches und nur so kann es überhaupt zu solchen Kursverläufen kommen. Die Auswirkungen von Spekulationen auf Lebensmittelpreise sind einfach nur verachtenswert.

Als ich schrieb, Michael Douglas inspirierte mich in seinem Film Wallstreet und dass ich auch so gern Anteilseigner eines großen Konzerns werden wollte, wusste ich nicht, dass das in gewisser Weise ein Traum bleiben sollte. Ich träumte vom Zeitungslesen, Quartalszahlen studieren und Order per Telefon aufgeben. Nun sitze ich vor mehreren Monitoren, die Informationen kommen im Sekundentakt und ich scalpe Firmen, von denen ich nie zuvor gehört habe. Frohe Weihnacht!

Ihr ASWB

PS: Zu meiner Lok kam ich übrigens doch noch. Allerdings erst viele Jahre später. Verpackt im Amazonkarton…

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